Diskussion und Ausblick

Grüner Wasserstoff kann neben der ersten und zweiten Säule der Energiewende – Reduzierung des Energiebedarfs und Steigerung der Energieeffizienz – als drittes Standbein einen wichtigen Beitrag zum Einhalten des 2° C-Zieles leisten. Damit eine grüne Wasserstoffwirtschaft im Sinne der Agenda 2030 weitere zwingend notwendige Ziele zum Wohle der Weltgemeinschaft nicht konterkariert, braucht es mess- und überprüfbare Nachhaltigkeitskriterien.

„In der Nationalen Wasserstoffstrategie wird die Bedeutung von Nachhaltigkeitsstandards betont. Wie solche Standards ausgestaltet sein könnten, bleibt [aber] offen.“ (RNE, 2020, S. 10) Zudem gibt es bislang „keine international verbindlichen Umwelt- und Menschenrechts-Kriterien für Wasserstoff und seine Folgeprodukte.“ (HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG, 2021, S. 28)

Ehrgeizige und klar formulierte Nachhaltigkeitskriterien müssen sich auf die gesamte Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff beziehen, d. h. Erzeugung, Transport, Speicherung, Nutzung, Sicherheit, Wartung und Rückbau. Frühzeitig eingeführt können sie

  • Risiken minimieren (u. a. in Bezug auf CO2-Emmission, Fläche, Rohstoffe, Wasser),
  • Chancen erhöhen (u. a. in Bezug auf Energie- und Trinkwasserversorgung, Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Partnerschaften),
  • Planungssicherheit für Unternehmen und Investoren generieren,
  • Akzeptanz der Gesellschaft befördern,
  • Investitions- und Standortsicherheit für Unternehmen schaffen,
  • Klarheit in energiepolitische Diskussion bringen und
  • Produktionsqualität sicherstellen.

Dabei müssen neben den mit grünem Wasserstoff einhergehenden Wertschöpfungspotenzialen und Klimaschutzaspekten Auswirkungen auf die Umwelt sowie soziale Belange berücksichtigt werden. Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen, 169 Unterzielen und 231 Indikatoren bietet einen internationalen Referenzrahmen, der aufzeigt, mit welchen vielschichtigen Herausforderungen die Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung einhergeht.

Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, appelliert die Agenda 2030 an die Verantwortung der Industrienationen die Auswirkungen ihrer Politik und Wirtschaft nicht allein im nationalen Maßstab zu betrachten, sondern gleichermaßen ihre globale Wirkungsdimension zu berücksichtigen und entsprechend zu agieren. Bezogen auf grünen Wasserstoff bedeutet dies, dass der Blick nicht allein auf nationalen Chancen wie Bruttowertschöpfung oder Dekarbonisierung der Industrie liegen darf, sondern auch die globalen Risiken mit betrachtet werden müssen. Dies betrifft sowohl inländisch produzierten grünen Wasserstoff (z. B. Aspekt Rohstoffeinsatz) als auch den Import (z. B. Aspekt Menschenrechte).

Wenngleich grüner Wasserstoff einen unmittelbaren Beitrag zu SDG 7 (Bezahlbare und saubere Energie) und SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) leistet, so werden entlang der Wertschöpfungskette weitere SDGs berührt (z. B. SDG 6 Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen). Unter diesem Gesichtspunkt und mit Blick auf die zu erwartenden hohen Importmengen auf der einen Seite und Exportpotenzial in Bezug auf Technologie und Know-how auf der anderen Seite müssen Nachhaltigkeitskriterien sowohl für die nationale als auch globale Wasserstoffwirtschaft erarbeitet werden. Insbesondere bei Produktion außerhalb Europas werden SDGs berührt, die schwerpunktmäßig die soziale Dimension nachhaltiger Entwicklung adressieren (z. B. SDG 8 Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum).

Deutschland und die EU müssen bei der Entwicklung, Verbreitung und konsequenten Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien in Europa und weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen. „Der Nachhaltigkeitsrat empfiehlt der Bundesregierung, sich bei der Etablierung von Nachhaltigkeitsstandards international stärker zu engagieren und dabei die Expertise aus dem Kontext der erneuerbaren Energien einzubringen. Er bietet an, bei der Entwicklung einer erfolgversprechenden Systematik mitzuwirken, die Nachhaltigkeitsziele der Wasserstofftechnologie und -wirtschaft ebenso in den Blick nimmt wie den Markthochlauf.“ (RNE, 2020, S. 11; vgl. auch SRU, 2021)

Um ein zeit- und kostenintensives Nachsteuern zu vermeiden, sollten Nachhaltigkeitskriterien für grünen Wasserstoff möglichst frühzeitig auf den Weg gebracht werden. Ist dies nicht möglich, empfiehlt der Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) „strenge und transparente Nachhaltigkeitsanforderungen und Rahmenbedingungen für die Übergangszeiten zu formulieren.“ (RNE, 2020, S. 6) Diese müssen einerseits für die heimische Produktion und andererseits für Importe festgelegt werden.

Bezogen auf das Erzeugerland sollten z. B. folgende Nachhaltigkeitsdimensionen adressiert werden:

  • Erreichen der Klimaschutzziele,
  • Deckung der Wasserstoffnachfrage,
  • beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien,
  • verbesserter Energiezugang,
  • Beeinträchtigung von Ökosystemen (z. B. CO2, Fläche, Rohstoffe, Wasser, Flora & Fauna),
  • lokale Wertschöpfung,
  • Arbeitsplätze,
  • Landnutzungskonflikte,
  • Menschenrechte und
  • Verschuldung

Die SDGs bieten dabei Orientierungshilfe, ersetzen aber nicht nationale oder europäische Gesetzgebungen, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Richtlinien in Ländern mit hohen Standards. Vielmehr können sie diese auf einer übergeordneten Ebene ergänzen, indem sie Generationengerechtigkeit, soziale und wirtschaftliche Teilhabe, Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie internationale Verantwortung zum Leitbild einer grünen Wasserstoffwirtschaft machen.